Claudia Märzendorfer – Around the light

Bildende Kunst

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In der Ausstellung von Claudia Märzendorfer geht es viel um Zeit. Diese manifestiert sich hier auf unterschiedliche Weise: als flüchtige Momentaufnahme in einer Spiegelung (Portraits), als eine Art Zeitkapsel in der dichten Zusammenstellung eines Querschnitts an Werken einer Sammlung, als visualisierte Gleichzeitigkeit mehrerer Bauphasen eines Gebäudes (Shared Space) und als ausgedehnte fotografische Studie über 24 Stunden – eine der Messeinheiten, mit denen wir die Zeit zu fassen versuchen – als Veränderung der Himmelsfarbe in einem Tag in der titelgebenden Arbeit AROUND THE LIGHT. Die beiden Räume des kunsthaus muerz bespielt die in Wien lebende Künstlerin dabei auf jeweils spezifische Weise: Im Langhaus mit zwei großformatigen Projektionen (AROUND THE LIGHT und Unter ein Bild) prägen die Immaterialität des Lichts – mitunter zugleich Gegenstand und Träger der projizierten Bilder – zum einen und die Apparaturen, Kodak Karusell-Diaprojektoren, die eben die Lichtbilder erzeugen, den Raumeindruck, das stete Summen ihrer Lüftung und das für das Weiterdrehen des Karusellmagazins typische rhythmische Klackern geben den Ton an.

Ausstellungsrundgang mit Claudia Märzendorfer und Markus Waitschacher (Kunsthaus Graz)

Sie bringen buchstäblich Licht in den fensterlosen Raum: das von den Apparaturen erzeugte künstliche Licht, als Bildinhalt aber auch natürliches Licht, den Himmel, und damit einhergehend das Außen, und mit der Veränderung der Farbe des Himmels auch Bewegung. Bewegung, die wiederum mit der Bewegung der Diaprojektoren zusammenfällt … Während sich in AROUND THE LIGHT die unterschiedlichen Lichtquellen und deren Bewegung zu einem Kreis schließen, fungiert Unter ein Bild hier als inhaltliche Scharnier und schließt den Kreis zur Installation im zweiten Raum. In der Apsis sind auf einem niedrigen Sockel dicht an dicht Werke aus der Sammlung der Stadt Graz versammelt. Die Leihgaben, darunter Fotografien, Skulpturen, Malerei, Drucke und ein Gedicht stammen von neun Künstlern und drei Künstlerinnen unterschiedlicher Generationen und spiegeln gewissermaßen die Sammlungspolitik der steirischen Landeshauptstadt wider. Dieser Querschnitt an Arbeiten, viele aus den 1990er- und frühen 2000er-Jahren, repräsentiert zugleich eine Art verdichteter Zeit, was durch die gewählte Form der Präsentation unterstrichen wird. Dazwischen steht, lapidar an die Wand gelehnt und mit Radiergummis als Distanzhalter zum Boden ein Cluster schwarz glänzender gerahmter Bilder in verschiedenen Formaten. Die Portraits führen hier einen Moment der Selbstreflexion und des Innehaltens ein, wenn man im Spiegelbild die Flüchtigkeit des Seins in der Beständigkeit eines größeren Zeitkontinuums erkennt.

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AROUND THE LIGHT
2020
2 x 80 Farbdias, Kodak SAV 1020 Dia Carousel,
8’ 19’’ / 24 Stunden aus einer Position

Die neue Arbeit AROUND THE LIGHT (2020) zeigt die Veränderung des Lichts über einen Tag, welche zugleich die Bewegung der Erde um die Sonne widergibt. 24 Stunden lang wurde alle 8,19 Minuten – die Geschwindigkeit des Lichts von der Sonne zur Erde – von ein und derselben Position ein Bild des Himmels aufgenommen. 175 Bilder insgesamt. Präsentiert, genauer: projiziert werden nun 160 Licht-Bilder in zwei Kodak Carousel-Projektoren mit jeweils 80 Dias. Diese verbinden Innen- mit dem Außenraum und bringen buchstäblich Licht in das fensterlose Langhaus des kunsthaus muerz. Dank sanfter Überblendungen schafft die Künstlerin ein zeitliches Kontinuum, während sich die in den Bildern festgehaltene Bewegung der Sonne und die Bewegung der Karussellmagazine zum Kreis schließt. Eine Inspiration zu dieser Arbeit war wohl die Beschäftigung mit dem sogenannten Cyanometer: ein Messgerät, das gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt wurde, um die Intensität der blauen Himmelsfarbe zu erfassen.

Portraits 
2006/2016
21 Fotoportraits
à 30–70 cm x 40–80 cm (gerahmt)

Auf den ersten Blick erfüllt die als Portraits betitelte Foto-Serie die Erwartungshaltung der Betrachtenden nicht, denn: Nichts scheint zu sehen zu sein, jedenfalls kein Portrait im klassischen Sinn. Sieht man allerdings genauer hin, prüft man die erste oberflächliche Wahrnehmung, so entfalten sich auf der Oberfläche des tiefschwarz glänzenden Fotopapiers die eigenen Gesichtszüge. Die / der Betrachtende sieht sich selbst mit mehr oder weniger umgebendem Raum oder anwesenden Personen. Das Portrait existiert in der jeweiligen Form nur für den Moment, in dem man sich selbst darin spiegelt; im nächsten Moment kehrt die vermeintliche Leere wieder zurück – oder aber es erscheint eine andere Person im Bild.

Unter ein Bild
2016/2020
Eine sprachliche Betrachtung der Kunstsammlung Graz
im leeren Archiv.
2 x 80 Farbdias, Kodak SAV 1020 Dia Carousel

Notizen eines fiktiven Archivars
2016
Sprechplatte
Seite A: Notizen eines fiktiven Archivars
Seite B: Unter ein Bild
10“ Vinyl in Schuber, 30 x 30 cm,
Edition 5 + 2 AP
Texte: Claudia Märzendorfer
Stimme: Markus Meyer
Recording: minusgrounzero.org

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2016 hat sich Claudia Märzendorfer mit der Kunstsammlung der Stadt Graz beschäftigt, die damals kurz vor der Übersiedlung in ein neues Depot stand. Als Ausgangs- und Arbeitsmaterial diente ihr eine Liste des katalogisierten Bestands: Angaben zu KünstlerIn, Werktitel, Datierung, Technik / Material – allerdings keine Abbildung der Werke. So näherte sich die Künstlerin der Sammlung also über die Sprache, stellte sich u.a. die Frage, ob und wie sich Veränderungen, neue Entwicklungen und Trends im Kunstschaffen (aber auch in der Gesellschaft) anhand der gegebenen Werktitel ablesen lassen. Sie untersuchte die Titel nach Häufigkeit, Übereinstimmungen oder verwendeter Fremdsprachen beispielsweise. Schließlich tippte Märzendorfer die etwas mehr als 3.500 Titel mit einer Schreibmaschine ab, in der Reihenfolge ihres Sammlungskatalogeintrags. Bezugnehmend auf Paul Celans Gedicht Unter ein Bild von 1961, das auch Teil der Sammlung ist, verfasste die Künstlerin außerdem einen gleichnamigen Text. Beide wurden, zusammen mit vier Fotoaufnahmen der – noch – leerstehenden neuen Archivräume (Das leere Archiv) im selben Jahr in dem Künstlerbuch Unter ein Bild veröffentlicht. Eine Anzahl von Titeln von Werken ab 1953 (Beginn der Sammlungstätigkeit der Stadt Graz) verwebte Claudia Märzendorfer zu einem weiteren Text: Notizen eines fiktiven Archivars, eine lyrische Erzählung, in der auch immer wieder die Frage nach den Suchbildern aufgeworfen wird. Beide, von der Künstlerin verfassten Texte wurden vom Burgtheater-Schauspieler Markus Meyer eingesprochen und auf einer Sprechplatte veröffentlicht. Im kunsthaus muerz präsentiert Märzendorfer die Titelliste Unter ein Bild als Diashow. Um der Arbeit eine neue, entmaterialisierte, dafür aber zeitliche Komponente zu verleihen, wurden die Blätter mit den abgetippten Titel abfotografiert, als Dias entwickelt, und erscheinen in der Ausstellung abwechselnd, wie beim Durchblättern der Seiten des Buchs. Die Sprechplatte Notizen eines fiktiven Archivars wiederum liegt als Objekt auf.

Die beiden Arbeiten schlagen eine Brücke zur Grazer Kunstsammlung aus der die Künstlerin – quasi als zweiten Teil ihrer Ausstellung – zwölf Werke auf einem niedrigen weißen Sockel in der Apsis des Kunsthauses versammelt. Diese Werke bilden einen repräsentativen Querschnitt der Sammlung ab und damit mögliche Schwerpunktsetzungen einer Sammlungstätigkeit. Auf die mangelnde Repräsentation von weiblichen Kulturschaffenden in der Sammlung – nur drei der zwölf Werke stammen von Künstlerinnen – macht Märzendorfer stellvertretend mit einer auf dem Sockel leergelassenen Stelle und dazugehörigem Schild aufmerksam.

SHARED SPACE
2013/2020
BIG ART. Kunst am Bau, Entwurf
Modell, Maßstab 1:200

Anlässlich eines geladenen Wettbewerbs für ein Schulgebäude in Krems entwarf Claudia Märzendorfer 2013 ein Kunst-am-Bau-Projekt, das Shared Space genannt, alten und neuen Baubestand visuell zusammenführte. Der Grundriss des ursprünglichen, in den 1960er-Jahren errichteten Gebäudes – Verläufe von Wänden, die mitunter nicht mehr existierten oder verlegt worden waren, aber auch jene, die deckungsgleich geblieben waren – sollte sich als räumliche Linien in die neue Struktur einschreiben: wie eine Spur, die der Idee folgend, dass Wissen auf Bekanntem aufbaut, sich stets erweitert, revidiert, überschrieben wird, die Geschichte dieses Raums veranschaulicht. Ein Architekturmodell, das die Künstlerin auf einem Sockel im Foyer vor dem Ausstellungsraum präsentiert lässt die Überlagerung der Räume erkennen, wobei die Geschosse des Modells mit weißen Radiergummis für die Ausstellungsansicht unterlegt sind – und weckt die Aufmerksamkeit der BesucherInnen dafür, dass sich auch das kunsthaus muerz in ein älteres, ehemals anders genutztes Gebäude einschreibt. Zwischen die drei Geschosse des Modells sind weiße Radiergummis gelegt: diese Distanzhalter ermöglichen einen besseren Einblick ins Innere der Gebäudestruktur, wo fein gezogene Linien den ehemaligen Baubestand markieren.

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Claudia Märzendorfer lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte in den 1990er-Jahren bei Bruno Gironcoli an der Akademie der Bildenden Künste Wien. 2019 war sie Artist in Residence im Zentrum europäischer Künste Hellerau (D), 2018 wurde sie für den Dagmar Chobot Skulpturen Preis nominiert. 2017 erhielt sie den Gerhard und Birgit Gmoser Preis durch die Wiener Secession, 2014 bekam sie den Outstanding Artist Award in der Sparte Bildende Kunst durch das Bundeskanzleramt Österreich verliehen. Seit 2011 arbeitet Märzendorfer in einem Bildhaueratelier des Bundes in den sogenannten Praterateliers. In ihrer Praxis befasst sich die Künstlerin mit ephemeren Plastiken und Installationen. Zeit und Musik versteht sie dabei als einzig neutrale Währungen. Die Welt ist das Material, wenn sie die Grenzen der Bildhauerei erkundet.

claudiamaerzendorfer.com/de/

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Fotografie: © Michael Goldgruber

 

 

Infos & Tickets

Do / 18.06.2020  - So / 23.08.2020
Donnerstag – Samstag: 10 – 18 Uhr, Sonntag: 10 – 16 Uhr
kunsthaus muerz