Einleitung: Thomas Eder Mitte der 1950er Jahre schrieb Gerhard Rühm \"wir haben den dialekt für die moderne dichtung entdeckt\", und meinte damit außer sich selbst noch H. C. Artmann und Friedrich Achleitner. Friedrich Achleitners Dialektgedichte unterscheiden sich wesentlich von denen seiner Freunde. Mitten unter den verschiedenen Wiener Großstadtdialekten \"hörte ich meinen Innviertler Dialekt mit anderen Ohren\". In den Bauernhöfen an der bayrischen Grenze gab es so gut wie keinen Wortschatz außerhalb der Arbeitswelt, schreibt er im Nachwort. Achleitners seit damals entstandene und hier gesammelte scharfzüngige Gstanzln, Schnaderhüpfln, Litaneien und Gedichte erscheinen erstmals in einem Band. An dem Abend im kunsthaus muerz liest Friedrich Achleitner zusammen mit Wolfram Berger, durch dessen Stimme bislang u.a. Werke von Robert Musil, Konrad Bayer, Kurt Schwitters u.v.a. eine unvergleichbare Interpretation erfahren haben. [b]6€ | 4€[/b] für Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren ist der Eintritt frei [b]Friedrich Achleitner[/b] Friedrich Achleitner, geboren 1930 in Schalchen, Oberösterreich, Mitglied der Wiener Gruppe. Bis 1998 Professor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Bücher (u.a.): Österreichische Architektur (1980 ff.) und zuletzt bei Zsolnay und oder oder und (2006), quadratroman (Neuauflage, 2007), der springende punkt (2009) und iwahaubbd (2011). [b]Daten, Fakten, Jahreszahlen[/b] 1930 in Schalchen, Oberösterreich, geboren 1950-1953 Studium der Architektur und Diplom an der Meisterschule Clemens, Holzmeister an der Akademie der bildenen Künste in Wien 1953-1955 Meisterschule Emil Pirchan, Bühnenbild 1953 Freischaffender Architekt. Zusammenarbeit mit Johann Georg Gsteu. Wichtigste Arbeit dieser Zeit ist die Modernisierung der Rosenkranz-Kirche in Wien. 1958 beendet Achleitner seine Tätigkeit als Architekt und wird freier Schriftsteller. Als Mitglied der legendären \"wiener gruppe\" (Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener) schreibt er Dialektgedichte und konkrete Poesie und wirkt an Aufführungen des \"literarischen cabarets\" mit. 1961 Architekturkritiker der Abendzeitung 1962-1972 Architekturkritiker der Tageszeitung Die Presse Bis 1972 begründen die regelmäßigen Architekturkritiken von Friedrich Achleitner eine neue Qualität der Reflexion der Architektur in Österreich. 1963-1983 Lehrauftrag für \"Geschichte der Baukonstruktion\" an der Akademie der bildenden Künste, Wien 1983-1998 Vorstand der Lehrkanzel für \"Geschichte und Theorie der Architektur\" an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Seit 1965 arbeitet Achleitner an einem \"Führer zur Österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert\", der seit 1980 in Einzelbänden erscheint. Diese weltweit einzigartige Arbeit ist das Ergebnis konsequenter Primärforschung, beruhend auf der Auswertung sämtlicher vorhandener archivalischer Quellen, der persönlichen authentischen Besichtigung aller Bauten, und deren sprachlich architekturkritischen Bewertung. Hier gelingt Achleitner eine einzigartige Verbindung von historischer Kompetenz und sprachlicher Analyse, die Verbindung von Architektur und Literatur auf höchstem Niveau. Achleitner erhielt für seine Arbeit zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Aus einem Interview, das Thomas Eder mit Friedrich Achleitner geführt hat (in: Gerald Matt u. Österreichisches Parlament [Hg.]: Österreichs Kunst der 60er-Jahre. Gespräche. Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst 2010, S. 33ff.): Eder: Es scheint mir ja eine der herausragenden Leistungen der Wiener Gruppe zu sein, den Dialekt für die Literatur der Avantgarde "entdeckt" zu haben. Du hast ja in Deiner Zeit in Oberösterreich auch schon ein paar wenige Dialektgedichte, so in der Manier der Heimatdichtung und Franz Stelzhamers geschrieben. Achleitner: Das waren vielleicht drei, vier Gedichte, nicht der Rede wert. Viel wichtiger war für mich die Erinnerung an die dialektale Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, mit Wörtern oder Aussprüchen, die zur Wiederholung neigen, wie eben "pfiaddö fraonz", oder "ge waida!" Und zum Teil geht es zu strengeren Strukturen hin, wie in "wos / na / ge", wo einfach die Permutation von drei Elementen durchgehalten wird. Das sind dann sechs. Friedrich Kurrent und ich haben ja bei Ossi Wiener Mathematikstunden genommen und nur deshalb gewusst, was eine Permutation ist. Schließlich gibt es noch Konstellationen im engeren Sinn, wie "kaas" zum Beispiel. Eder: Wie bist Du überhaupt dazu gekommen, den Dialekt als sprachliches Gestaltungsmittel zu verwenden? Achleitner: Erst in Wien habe ich bemerkt, dass das Innviertel eine ganz andere Sprachwelt ist. Das fällt einem erst durch die Distanz auf. Und weil sich eben die Wiener Freunde mit dem Dialekt beschäftigten und ich weder Lust noch Können hatte, dies nachzuahmen (weder lautlich noch inhaltlich), habe ich Versuche im oberösterreichischen Dialekt begonnen. Die Reaktion meiner Freunde war sofort sehr positiv. Ich muss schon zugeben, für mich war auch Karl Valentin wichtig. Und einen weiteren Anstoß verdanke ich Peter Kubelka. In seinem Film "Mosaik im Vertrauen" wird sehr bewusst der Dialekt verwendet. Da gibt es die schöne Szene, wo ein Eisenbahner eine Glühbirne einschraubt, und nach einem längeren Flackern sagt er dann "So, iazd brennds wida." Das war für mich ein Schlüsselmoment, da ist mir ein "Licht aufgegangen". Solche Sprachelemente aufzunehmen und damit zu arbeiten. Da war der aus Taufkirchen in Oberösterreich stammende Kubelka daran "mitschuld". Eder: Eine Besonderheit des Innviertler Dialekts ist ja das Wiederholende und dadurch Retardierende. Achleitner: Genau, das kommt aus dem Altbairischen. Ich behaupte ja, die Innviertler können keinen vollständigen Satz sagen, eine Art kommunikativer Minimalismus: "Ja", "Geh", "Pass auf", etc. Und dadurch entsteht dieses fast suggestive Reden. Biographisch reicht das bei mir in die Kindheit zurück: Wir hatten ja eine Mühle am Rande des Kobernaußerwaldes, und da kamen zu uns immer die "Wuiden vom Woid aua", also die " Wilden aus dem Wald", arme Bauern die noch einen altbairischen Dialekt wie "mui" (Mühle),"vui" (viel) und eben auch "wuid" und "woid" und so weiter sprachen. Darunter war ein Bauer, der Bernecker, der hat unglaublich schnell gesprochen, dafür alles zweimal gesagt. "ge ge, gehst her, gehst her, kim, kim, pass auf, pass auf" und so fort. Das hat mich als Kind natürlich fasziniert. Und ich glaube, von dieser Art zu reden ist auch einiges in meinen Dialektgedichten. Dieser Dialekt hat im Gegensatz zum Wienerischen keine Bilder, keine Metaphern, er ist eine reine Arbeitssprache in einer geschlossenen Arbeitswelt, die mit geringstem Aufwand funktioniert. Eine Art sprachlicher Minimalismus. Eines meiner Dialektgedichte ist auch im Kobernaußer Dialekt geschrieben: "iwan beerö iwö / is a floing iwö". Eder: Und von Rühm gibt es ja auch diese Lautgedichte im Wiener Dialektidiom, wo er dann einfach verzichtet auf irgendetwas Bedeutungstragendes. Achleitner: Ja das sind fantastische Konstrukte, die quasi aus Lautpartikeln etwas ganz Neues machen, die melodisch an Wiener Idiome erinnern. Da gibt es zwischen Rühm und Artmann den großen Unterschied, dass der H.C. wirklich bei den "Proleten" in "Bradnsee" aufgewachsen ist, während Rühm, der "Philharmonikersohn", vermutlich die Wiener Dialekte eher über Distanzen oder durch "Filter" wahrgenommen hat. Er durfte nicht mit den Kindern auf der Straße spielen und hat vielleicht gerade dadurch eine Art "Liebesbeziehung" zu den Dialekten der verschiedenen Milieus entwickelt. Eder: Rühm hat in seinem Manifest "dialektdichtung" in der Zeitschrift "alpha", 1956, auch darauf hingewiesen, dass die Surrealisten den Dialekt als eine Sprachschicht, die ganz nah am Inneren und Unbewussten ist, als eine Ausdrucksmöglichkeit dieses Inneren, Unbewussten übersehen haben. Achleitner: Es gibt ja Vieles, das kann man nur im Dialekt ausdrücken, Emotionales, das auch mit dem Ton und der Färbung der Wörter zu tun hat. Dagegen ist die Hochsprache ja ein "ogramda christbam".