Der lange Marsch zu sich selbst
Heinrich J. Pölzl als Maler und Einzelgänger
Finissage und Ausstellungsrundgang mit dem Kurator der Ausstellung Günther Holler-Schuster.
Die Generation von Künstler*innen, der Heinrich J. Pölzl angehörte, hatte erste Kontakte zur Kunst, bevor sich die Katastrophe des Krieges, des Naziterrors und des damit verbundenen allgemeinen Leids ergab. Das Erlebnis der Totalzerstörung legte das Bedürfnis eines Neubeginns nahe. Pölzl, geb. 1925 in Neuberg a. d. Mürz, begann seine künstlerische Ausbildung 1947 an der Wiener Akademie der bildenden Künste, bei Paris Gütersloh. Unmittelbar davor inskribierte er an der Universität Wien Kunstgeschichte und Geschichte. Das Lehramt für bildnerische Erziehung und Werkerziehung erlangte er 1951, das Diplom zum akademischen Maler 1952. Im selben Jahr ging er auch nach Graz und begann seine Lehrtätigkeit an der BEA Liebenau. Ab 1960 war er Mitglied des Forum Stadtpark, 1970 bis 1972 dessen Referent für bildende Kunst. 1974 begann er zusätzlich an der Pädagogischen Akademie in Graz-Eggenberg zu unterrichten.
Umfänglich ausgebildet und vorbereitet, wie er war, ergaben sich ab 1952 selbstverständlich erste Kontakte zur hiesigen Kunstszene. Wie konnte man nun das Erlebnis der beispiellosen Katastrophe mit der Erfahrung der Moderne und der Kunst danach in Einklang bringen? Wo anfangen, fortsetzen, sich orientieren, was nimmt man mit, was muss man im Prozess der Aneignung auch schon überwinden? Was bedeuten die bereits existierenden, aber brutal verhinderten Erkenntnisse der Moderne bzw. der Avantgarde? Ein Mix an Möglichkeiten, eine Vielzahl an neuen Orientierungen und große Unsicherheit bestimmten diese Zeit unmittelbar nach 1945. In Wien stritt man sich um die Entscheidung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Die bürgerliche Vorstellung von Ästhetik und Moral war zutiefst gestört, hatte bereits zwei Weltkriege möglich gemacht bzw. nicht verhindern können. So ergab sich die Frage nach der Zukunft. Die Meister der Moderne, wie auch Gütersloh, waren da, die jungen Kräfte nahmen zwar alle Impulse schwammartig auf, verarbeiteten sie jedoch höchst unterschiedlich bzw. lehnten sie gleichzeitig radikal ab. Wo war das Neue zu finden? Lag es zunächst in der Wiederholung des Bekannten, des bisher Verhinderten oder im totalen Neubeginn, der seine Wurzeln verleugnete?
Für Heinrich J. Pölzl lag der Schlüssel zunächst im Studium, in der Erkenntnis des Bestehenden. Der Fabulierer Gütersloh war zwar eine bestimmende Instanz innerhalb der Kunstausbildung im Nachkriegs-Wien. Er stand aber auch für etwas, das man schon als historisch bezeichnen könnte. Somit löste man sich auch rasch von den Lehrerpersönlichkeiten und nahm, wie Pölzl, das Steuer selbst in die Hand.
Pölzl begegnete in Graz allerdings einem weiteren wichtigen Einflussgeber und freundete sich mit Kurt Weber an. Weber hatte lange in Frankreich gelebt und wurde mit der „École de Paris“ in Verbindung gebracht. Seine Auffassung vom Kubismus verbreitete er erfolgreich als Lehrender an der Technischen Universität Graz. Die Interpretation des Kubismus legte die Notwendigkeit einer neuen Raumerfahrung nahe. Farbe und Tektonik bestimmten ein aperspektivisches Prinzip. Architektur, urbane Strukturen und technische Konstruktionsweisen waren für Pölzl fortan bestimmend. Immer wieder beschäftigte sich der Künstler mit dem Bild der Architektur. Das geschah analytisch und vielfältig. Auf ausgedehnten Reisen besuchte Pölzl u.a. die klassischen Plätze der Moderne entlang der Mittelmeerküste und in den Städten Frankreichs, Italiens, Spaniens, etc. Die Ansichten von Istanbul, Urbino, Bergamo, Monte Santangelo, Coimbra oder Lissabon, aber auch die von Neuberg oder Liebenau sind nicht nur Belege eines bewegten Künstlerlebens, sondern zeigen auch die Suche nach Neuorientierung, Bestätigung und Vergewisserung.
Pölzls Zugang zur Kunst war ein bewegter, den man mit einem Weg beschreiben könnte, der zu gehen ist. Das war seine Methode, um Aneignung und Überwindung bzw. Erlangung von Eigenständigkeit zu erreichen. Es war nicht der Radikalschlag, wie bspw. im Wiener Aktionismus, der alles davor Geschehene buchstäblich zerschlug. Pölzl ging einen anderen, einen analytischen Weg, definierte Möglichkeiten, die er gleichzeitig zur Disposition stellte. In der Darstellung der mediterranen Landschaft schloss er an die klassische Moderne an und interpretierte sie, wie von Weber animiert, auf eigenständige Weise. Formen und Farben der im Hafen liegenden Boote sowie die der kubischen Strukturen mediterraner Dörfer und Städte schließen sich dabei zusammen und bilden ein Reservoir an Abstraktionsmöglichkeiten und Formdiskussionen. Kubistisch segmentiert oder im Farbspiel aufgelöst erscheinen die Formulierungen wohlbekannt, aber selbstbewusst transformiert.
Pölzl wurde nie vollständig abstrakt. Der Bezug zur Natur bzw. zum Gegenstand blieb erhalten bzw. war im Hintergrund stets spürbar. Selbst in den kalligrafischen Arbeiten, die ihn bereits seit den 1960er-Jahren beschäftigten, lag die Realität der Buchstaben, der Zeichen zu Grunde. Sie waren nicht nur durch ihre narrative Kraft interessant, sie waren auch ästhetische, gestalterische Elemente. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Bilderschriften Südamerikas, Chinas oder der Eleganz der orientalischen Schrift lagen damals auch in der Zeit – man denke an den informellen Maler Hans Hartung oder an die an Kalligrafie orientierten Maler Georges Mathieu oder Mark Tobey. Für Pölzl waren diese Vorbilder nicht bestimmend, sie bestätigten lediglich seinen Weg.
Er war am Seriellen interessiert, an der Wiederholung, die eine intensive Auseinandersetzung ermöglicht. Das Prinzip des Seriellen legt wieder die Metapher des Weges nahe, den der Künstler bereit war, in seiner Kunst zu gehen. Der Kubismus, das Kalligrafische, aber auch das Informelle und die Formulierungen der Pop-Art waren Pölzl zutiefst eigen. In der Adaption erlangte er den Zustand der ständigen Verfügbarkeit. Er konnte die unterschiedlichen Arbeitsweisen stets genial kombinieren und eigenständig mitnehmen. Seine Entwicklung geschah nicht linear. Er ging in gewisser Weise forschend voran und ließ die Ergebnisse immer wieder aufs Neue einfließen.
War er zunächst Maler und Zeichner, konnte er auch bald größere Aufträge, wie 1972 die Wandgestaltung im Hallenbad Schladming, 1981 die Wandmalerei in der Kapelle des LAPH Bad Radkersburg oder 1984 die Wandgestaltung der Kapelle im LAPH Knittelfeld umsetzen. Das monumentale Format der Wandmalerei veranlasste ihn auch zu Großformaten auf Leinwand. Ab 1981 entstanden seine „Tücher“, frei im Raum hängende Leinwände, die das übliche Bildformat überschritten. Der Bezug zur Architektur kam hier somit nicht nur im Bildinhalt zum Ausdruck, sondern vor allem in der Verhältnismäßigkeit zur Wand. Das Bild wird damit deutlicher zum raumbestimmenden Element. In den „Tüchern“ verdichtete der Künstler erneut sein künstlerisches Repertoire. Kalligrafische Überlegungen, Stadtvisionen, aber auch rein abstrakte Elemente verbinden sich dabei zu einem Katalog eigener Bildvorstellungen.
Die Ebene der Moderne durchwanderte Pölzl bravourös, den Kubismus hat er für sich adaptiert und konnte dabei sogar ungeahnte Varianten freisetzen. Der Surrealismus seines Lehrers Gütersloh kam bei ihm nie explizit zum Ausdruck. Pölzl konnte aber dessen Potentiale nutzen. So stand er Ende der 1960er- bzw. am Beginn der 1970er-Jahre vor einem Neuanfang. Traumstrukturen, Architektonisches, sowie Naturformen traten immer farbkräftiger ins Zentrum seiner Überlegungen. Mikro- und Makrosicht wechseln einander dabei ab oder fließen ineinander. Der Zeitgeschmack der Hippiekultur oder der Pop-Art werden plötzlich drastisch sichtbar. Es sind koloristische Zeugnisse eines Lebensgefühls, einer alternativen Gesellschaftsform und einer kosmologischen Innensicht, die sich mit den globalen Mythen, esoterischen Narrationen und einer subjektiven Gefühlslage beschäftigen. Der Künstler blieb auch hier eigenständig und unsentimental, aber trotzdem die Wurzeln nicht verleugnend.
Heinrich Pölzl war nicht nur Maler, sondern auch eminenter Zeichner, experimentierte im Dreidimensionalen und auch im Film und der Fotografie. In dieser Ausstellung allerdings, soll es in erster Linie um das malerische Oeuvre des Künstlers gehen. Es ist ein Überblick über einen höchst eigenständigen künstlerischen Weg, der voller Höhepunkte und verblüffender Resultate ist.
Pölzl blieb, trotz seiner aktiven Involvierung ins lokale Kunstgeschehen, ein Einzelgänger. Seine künstlerische Entwicklung steht heute monolithisch in der steirischen Kunstgeschichte.
(Günther Holler-Schuster)