Klangbilder I & Klangbilder II

[b]Klangbilder I[/b] Präsentation Workshop Elektronische Umwelterfahrung Christian Weißenbacher und SchülerInnen des Gymnasiums Mürzzuschlag [b]Klangbilder II[/b] Agata Zubel, Sopran, Karlheinz Essl, Gestaltung und Moderation Gottfried Michael Koenig Essay Edgar Varèse Poème Electronique György Ligeti Artikulation Iannis Xenakis Concrete PH Karlheinz Stockhausen Gesang der Jünglinge Karlheinz Essl Sequitur IX für Mezzosopran und Elektronik [b]19€ | 9€[/b] [b]In Kooperation mit der röm.-kath. Pfarre Neuberg an der Muerz[/b] [b]"The Roaring Fifties" Aufbrüche in die Elektronik[/b] Das heutige Konzert in der Grünangerkirche führt uns zurück in die "Roaring Fifties" – jener wilden Epoche, in der sich eine junge Generation kraftvoll und entschieden zu Wort meldete. Die Schrecknisse des Krieges glaubte man überwunden, und allerorts herrschte abenteuerlustiger Aufbruchswille, der zu "neuen Ufern" drängte. Dies zeigte sich nicht nur im flotten und frechen Lifestyle jener Zeit, sondern fand seinen Niederschlag auch in der Kunst und der Musik. In Deutschland formierte sich eine Reihe junger Komponisten, denen zu Zeiten des Naziregimes der Anschluss an die Musik der musikalischen Avantgarde – der als "entartet" verfemten Musiker der Wiener Schule – verwehrt geblieben war. Radikal versuchten sie zunächst "reinen Tisch" zu machen, um ganz von vorne anzufangen: "Die Städte sind radiert", frohlockte Karlheinz Stockhausen 1953, "man kann von Grund auf neu anfangen ohne Rücksicht auf Ruinen und geschmacklose Überreste!" Zunächst wurde alles Verbürgte und Traditionelle über Bord geworfen. Im Sinne des überall beginnenden Wiederaufbaus begann man, den kompositorischen Schutt wegzuschaffen und das musikalische Material neu zu organisieren. Durch methodische Strenge und eiserne Selbstkontrolle versuchte man, sich gegen den Rückfall in überholte traditionelle Sprachmuster abzusichern. An Stelle musikalischer Motive und Harmonieverbindungen traten nunmehr abstrakte Konstruktionspläne und mathematische Verfahrensweisen, mit deren Hilfe das in seine Einzelteile (die sogenannten "Parameter") zerlegte Tonmaterial neu zusammengesetzt werden sollte. In der Instrumentalmusik stieß man rasch an vorgegebene Grenzen, die durch die Bauart der Instrumente und die Ausführungsmöglichkeiten der Musiker diktiert wurden. Bald aber fand sich ein neues Betätigungs- und Experimentierfeld in einem Studio des Kölner Rundfunks, das der Musikredakteur Herbert Eimert für junge Komponisten öffnete. Hier nahm eine neue Epoche der Musikgeschichte ihren Anfang, als dort die Erfindung der Elektronischen Musik proklamiert wurde. Mit Hilfe rundfunktechnischer Geräte wie Generatoren, Filter, Lautstärkenregler und Tonbandmaschinen begann man eifrig, den Klang aus seinen kleinsten Einheiten – den Sinustönen – zusammenzusetzen. Dafür mussten äußerst aufwendige technische Verfahrensweisen entwickelt werden, da es noch keine speziell dafür entwickelten Geräte (wie die erst später erfundenen Synthesizer) gab. Die komplexe Studiotechnik erforderte eine konzise Planung des Kompositions-prozesses, da die Klangerzeugung nicht in Echtzeit ablief, sondern erst als Endergebnis eines vielstufigen Prozesses hörbare Ergebnisse lieferte. Die Ausarbeitung kompositorischer Strategien war für die Realisation einer elektronischen Komposition unabdingbar und führte zu einer Arbeitsmethode, die stark von strukturellen Überlegungen und kompositionstheoretischen Fragestellungen geprägt war. Die ersten klanglichen Ergebnisse dieser Anfangszeit schockierten das Publikum, das keinerlei Verbindung zu jener Musik herstellen konnte, die ihm vertraut war. Diese neue Elektronische Musik erschien wie von einem fremden Stern kommend – vielleicht so, wie es Stefan George Jahrzehnte zuvor poetisch ausgedrückt hatte: "ich spüre luft von anderem planeten". Eines dieser Schlüsselwerke ist heute zu hören: Gottfried Michael Koenigs Essay (1957/58), von dem eine gedruckte Partitur existiert, in der alle Produktionsschritte penibel verzeichnet sind. Diese ermöglichte dem italienischen Komponisten Marco Gasperini, Koenig’s Werk ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung neu zu realisieren – diesmal jedoch mit Hilfe moderner Computertechnologie, was sich vor allem in einem wesentlich transparenterem Klangbild bemerkbar macht. Zudem hat Gasperini in Abstimmung mit dem Komponisten die einzelnen Klangschichten des Werks auf vier Lautsprecher verteilt, wodurch es durchhörbarer und zugänglicher wird. Nach seiner Flucht aus Budapest gelangte György Ligeti, ein weiterer Komponist des heutigen Abends, 1956 über Wien nach Köln, wo ihm Stockhausen Unterkunft gewährt. Über seine Vermittlung bekam Ligeti die Möglichkeit, am Elektronischen Studio des WDR zu arbeiten. Gemeinsam mit Gottfried Michael Koenig schuf er dort sein Werk Artikulation (1958), in dem er mittels serieller Verfahrensweisen ein "imaginäres Gespräch" darstellen wollte. Die abstrakte Klanglichkeit der frühen elektronischen Werke weicht hier einer skurrilen, fast slapstick-artigen Klangsprache, die Ligeti ihn seinen späteren Aventures (1962) mit instrumentalen und vokalen Mitteln weiterentwickelt hat. Die Hinwendung zum Sprachklang war auch Karlheinz Stockhausen ein Anliegen, der in seinem Gesang der Jünglinge bereits 1955 eine Verbindung zwischen synthetisch erzeugten Klängen und der menschlichen Stimme herstellen wollte. Die Verschmelzung dieser konträren Klangwelten erforderte, dass "gesungene Laute wie elektronische Klänge und elektronische Klänge wie gesungene Laute erscheinen können." In diesem Kontinuum kann Sprache in reinen Klang umschlagen, elektronischer Klang hingegen zu einem Sprachzeichen werden: "Wo immer also aus den Klangzeichen der Musik für einen Augenblick Sprache wird, lobt sie Gott." Der Aspekt des Lobgesanges wohnt auch meiner Komposition Sequitur IX (2008) für Mezzosopran und Live-Elektronik inne. In diesem Werk wird die elektronische Klangebene von einem eigens dafür entwickelten Software in Echtzeit generiert. Als Input dient ausschließlich die live gesungene Stimme, die über ein Mikrophon in das Computerprogramm eingespeist wird. Wie in einem Spiegelkabinett lösen sich die ursprünglichen Identitäten auf und erzeugen ein komplexes, tranceartiges Beziehungsgefüge – ad maiorem dei gloriam. Einen völlig anderen Ansatz als die Kölner Serialisten um Karlheinz Stockhausen verfolgten jedoch jene Komponisten, die sich in Paris um Pierre Schaeffer und Pierre Henry gescharrt hatten. Das, was heute als Sampling bezeichnet wird – die kompositorische Verwendung natürlicher Schallereignisse, die mittels Mikrofon aufgenommen und auf Tonträger abgespeichert wurden – war damals ästhetisches Programm. Mit diesem "konkreten" Klangmaterial ließen sich neuartige Klangcollagen gestalten, die dem Geräusch einen besonderen Stellenwert zuwiesen. Mit der technischen Möglichkeit der Klangspeicherung und -manipulation auf Tonband entwickelte sich eine neue Arbeitsmethode, die den bislang geltenden Kompositionsprozess radikal veränderte: Anstelle der jahrhundertelang praktizierten Arbeitsteilung – Ausarbeitung einer Partitur und deren Interpretation durch Musiker – fallen nun Komposition und Interpretation zusammen. Komponist und Interpret verschmelzen miteinander, wie dies Henry und Schaeffer programmatisch in ihrer Symphonie pour un homme seul (1951) demonstrierten. 1958 erhielt der weltberühmte Architekt Le Corbusier vom niederländischen Elektronikkonzern Philips den Auftrag, einen Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel zu entwerfen, in dem der technische Fortschritt als Multimedia-Spektakel zelebriert werden sollte. Architektur, Film, Musik und Lichtdesign sollten hierbei zu einem immersiven Gesamtkunstwerk verschmelzen. Als Komponist konnte Edgar Varèse gewonnen worden, der für seinem Poème électronique (1958) hunderte Lautsprecher im Inneren des Pavillons installieren ließ und damit Raumwirkungen erzielte, die alles bislang Gehörte in den Schatten stellten. Die Konstruktion des Bauwerkes (das leider nicht erhalten geblieben ist) wurde von Le Corbusiers Assistenten Iannis Xenakis besorgt, einem jungen griechischen Komponisten, der für die Bespielung ein weiteres Klangkunstwerk beisteuerte: Concrete PH (1958), dessen Ausgangsmaterial Aufnahmen von glühender Holzkohle darstellte, das kunstvoll transformiert und weiterverarbeitet wurde. © 2010 by Karlheinz Essl

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Fr / 18.06.2010
18.30 uhr & 19.30 Uhr
neuberg an der mürz / grünangerkirche