Alle wollen und müssen individuell sein: sich suchen, sich entfalten, ihre Identität entwickeln. Das ist das Selbstverständnis der Moderne. Es ist erfreulich, aber es überfordert die Menschen auch. Denn große Erzählungen, Ideologien oder Traditionen gibt es nicht mehr, und somit wird die Identitätssuche eine schwierige Bastelarbeit. Aber in Wahrheit sind die Individuen gar nicht so individuell. Wenn man mit Bekannten plaudert oder die Zeitschriften durchblättert, gewinnt man nicht den Eindruck, überall originellen, authentischen Personen zu begegnen. Es ist eine ziemlich konformistische Individualität. Alle tragen Krawatten oder Jeans, das Ringerl im Nabel und die Nike-Sportschuhe an den Füßen, und die Auffassungen sind auch nicht so unterschiedlich. Wunsch nach Einzigartigkeit und Muster der Individualisierung – wie geht das zusammen? Es geht nur mit viel Bluff. Man täuscht sich selbst und täuscht die anderen. Alle spielen Theater. Alle wollen und akzeptieren es, dass man blufft: in der Wirtschaft, in der Bildung, im Leben. Manfred Prisching [b]freier Eintritt[/b]