Dante Alighieris Commedia (1307-1320) hat seit ihrer ersten Aufnahme durch unmittelbare Zeitgenossen unzähligen literarischen und bildkünstlerischen Auseinandersetzungen den Weg bereitet. Für diese lebendige Aneignungs- und Auslegungstradition legen Ossip Mandelstams Gespräch über Dante, Stefan Georges und Rudolf Borchardts eigenwillige Übertragungen sowie Ezra Pounds Cantos im 20. Jahrhundert ein beredtes Zeugnis ab. Aber nicht nur den nachgeborenen Dichterinnen und Dichtern, sondern auch allen anderen Bewunderern steht mit Dantes im florentinischen Italienisch verfassten Hauptwerk die Erfahrung eines Schreibens offen, in dem die poetische Schöpfung mit der Affirmation einer Sprache zusammenfällt und die Feier des Jenseits mit der Reflexion auf ganz und gar diesseitige Ereignisse, Erlebnisse und Gemütszustände. Als „Dichter der irdischen Welt“ wollte Erich Auerbach den Autor der Commedia verstanden wissen, so sehr seiner Zeit voraus, dass man „zu der Überzeugung gelangt, dieser Mensch habe die Welt durch seine Sprache neu entdeckt“. In der Tat hat kein Dichter die begriffliche Benennung so sehr auf die Probe gestellt, keiner die Metapher so sehr zur lebendigen Zelle des Verstehens gemacht, keiner den Bogen von der gestalterischen Durchdringung zur innigen autobiographischen Einzelheit mit so viel Hingabe gespannt. Denn ebenso wie „Dante“ als Held des Gedichts im Durchqueren der drei Reiche zu immer weiteren Kenntnissen und Erfahrungen vorstößt, konzipiert Dante der Dichter, von canto zu canto weiterschreitend, das eigene Schaffen im Zeichen der unermüdlichen Selbstüberbietung. Dass Andrea Zanzotto und Edoardo Sanguineti, die beiden wichtigsten Vertreter einer experimentellen Lyrik in Italien, zeitlebens auf Dante geblickt und ihm bedeutende Studien gewidmet haben, mag vor diesem Hintergrund für sich sprechen. „Tu se‘ lo mio maestro e ‚l mio autore“ ist der Vers, mit dem Dante im ersten Gesang des Inferno dem aus seiner Deckung getretenen Vergil seine Ehre bezeigt, ehe er sich zu seinem größten Unternehmen anschickt. Unter Vergils Ägide tritt er seine Aufgabe an und über Vergils Erbe treibt er sie hinaus mit der Beherztheit dessen, der aus dem Exil buchstäblich um sein Leben schreibt. Jedoch wie ist es gemacht, dieses Gedicht, und wie kann, wer sich heute darauf einlässt, seine Werkstatt dadurch bereichern? Nun, wo Dantes Tod in Ravenna sich bald zum 700. Mal jährt, scheint es mehr denn je angebracht, das mittelalterliche Triptychon aus der Klammer des Kanons (aber nicht des historischen Kontexts) zu lösen, um sich zu seinen Verfahren ebenso nachdrücklich wie respektvoll in ein Verhältnis zu setzen. Die Wanderung vom Diesseits ins Jenseits und vom Jenseits in das Heute zurück wird so als poetische Verwandlung eines Weltgedichts lesbar, das mit seinem anhaltenden Leuchten die Gedichtwelt zu begeistern und vor allem herauszufordern vermag. [b]Sonntag, 30.6.2019 Neuberg an der Mürz / Festsaal der Gemeinde 19.30 uhr[/b] Begrüßung: Thomas Eder Vorrede: Theresia Prammer „Wie diamant durch den die sonne schneide”. Lectura Dantis von Sibylle Lewitscharoff und Piero Boitani [b]Montag, 1.7.2019 Mürzzuschlag / kunsthaus muerz 9.30 – 13.00 uhr[/b] Valentin Groebner: Schreiben in einer sehr unordentlichen Welt: Was kann man von Dante über Politik, Alltag und Schmutz lernen? Piero Boitani: „Our Concern Was Speech“: A Bird’s Eye View of Dante in English Poetry Peter Kuon: Dante und seine Göttliche Komödie in der Populärkultur [b]15.00 – 17.30 uhr[/b] Norbert Hummelt: Gespräch im Gehen Esther Kinsky: Fünf Fragen an: Tenebrae Ferdinand Schmatz: Ausführendes Verstehen [b]17.30 uhr[/b] „Kommentar im Futurum“. Ein Gespräch über Mandelstams Gespräch über Dante Mit Norbert Hummelt, Esther Kinsky und Ferdinand Schmatz (Moderation: Thomas Eder, Theresia Prammer) [b]19.00 uhr[/b] Lesungen Paul Henri-Campbell, Esther Kinsky, Sibylle Lewitscharoff, Ferdinand Schmatz [b]21.00 uhr[/b] Gasthof Schäffer, Neuberg an der Mürz „Io premerei di mio concetto il suco“ – Gasthaus Interventionen zur literarischen Dante-Rezeption [b]Dienstag, 2.7.2019 Mürzzuschlag / kunsthaus muerz 9.30 – 13.00 uhr[/b] Adrian la Salvia: Dante und Doré. Der kinematografische Blick Franz Josef Czernin: Zu Danteverwandlungen Michael Donhauser: Ewige Endlichkeit [b]15.00 – 18.30 uhr[/b] Paul-Henri Campbell: Schöpfung und Struktur aus dem Geiste der Scholastik. Thomistische Theologie in Dantes Commedia Thomas Poiss: Metamorphosis: Zur Poetik des Menschen bei Dante und Ovid Oswald Egger: In Form von Worten oder Formen ohne Worte (ausgehend von Paradiso, XX, 29) [b]19.30 uhr[/b] „Contrapasso“: Übersetzungen, Verwandlungen, Antworten Franz Josef Czernin: Danteverwandlungen. Kommentierte Lesung Michael Donhauser: Purgatorio, XXVIII Norbert Hummelt: Fegefeuer Max Höfler: Commedia [b]Mittwoch, 3.7.2019 Neuberg an der Mürz / Gasthof Schäffer 9.30 – 13.00 uhr [/b] „L’alba vinceva l’ora mattutina“ – Matinee Workshop 1: „Diverse lingue, orribili favelle” Dantes Dialekte Annette Kopetzki stellt Dante als vielsprachigen Autor vor und präsentiert Übersetzungen im Vergleich (Deutsch und Italienisch) Workshop 2: „La passione impressa“ Dante-Lektürekreis Roberto Galaverni führt durch ausgewählte Gesänge und spürt Besonderheiten des Ausdrucks nach (Italienisch und Deutsch, begleitet von Theresia Prammer) Schlussdiskussion, letzte Canti Abschied & Aufbruch