[b]wiener kammerorchester wiener kammerchor michael grohotolsky, choreinstudierung ernst kovacic, dirigent anton von webern fünf stücke für streichorchester frank martin passacaille für streichorchester thomas daniel schlee sonata da camera igor strawinsky psalmensymphonie[/b] Der 1883 in Wien geborene [b]Anton von Webern[/b] gilt neben Arnold Schönberg und Alban Berg als einer der Väter der modernen Musik. Eher durch Zufall wurde er Schüler von Schönberg – geprägt durch seine frühen Erfahrungen mit den Werken Bachs und Wagners studierte er erst in Wien bei Hermann Grädener, einem Komponisten aus dem Umkreis von Brahms, und versuchte später erfolglos Schüler Hans Pfitzners zu werden, bevor er 1904 in Schönbergs Klasse eintrat. Früh begann Webern sich hier von den spätromantischen Einflüssen zu lösen, wie sie noch in seinem Opus 1, der Passacaglia für großes Orchester, zu finden sind. Ähnlich wie der dem Schönberg-Kreis nahestehende Adolf Loos, der sich in der Architektur um ein Versachlichung der Ornamentik und größere Funktionalität bemühte – sein berühmter Aufsatz "Ornament und Verbrechen" erschien 1908, ein Jahr vor der Entstehung von Weberns op. 5 – versuchte auch Webern, nicht zuletzt auch dem Vorbild Johann Sebastian Bachs folgend, ein Maximum an Expressivität mit einem Minimum an Mitteln zu erreichen. Ein erstes Beispiel für diese sich abzeichnende Tendenz zur Verknappung und Verdichtung sind die Fünf Sätze für Streichquartett op. 5, die Webern 1929 für Streichorchester umarbeitete. Die fünf kurzen Sätze sind jeweils zwischen 30 Sekunden und 3 Minuten lang und sind so im Vergleich z.B. mit den zur gleichen Zeit entstandenen über halbstündigen Symphoniesätzen eines Gustav Mahler also wahnwitzig kurz. Die Möglichkeit, hier mit einem kleinen Ensemble die Komplexität der musikalischen Konstruktion mit einem am Impressionismus geschulten Klangbild zu verbinden, das in seiner Ausdifferenzierung weit über seine Zeit hinausweist, führte Webern in der Folge zu einer fast völligen Abkehr von großen Orchesterbesetzungen und wurde so zu einem der Grundsteine der neuen Musik. Auch der Schweizer Komponist [b]Frank Martin,[/b] einer der zu wenig gespielten maßgeblichen Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts, war zeitlebens ein großer Verehrer der Musik Bachs. 1890 in Genf geboren, studierte er erst Mathematik und Physik, bevor er sich in den zwanziger Jahren endgültig der Musik zuwandte. Er arbeitete eng mit dem bedeutenden Musiker und Theoretiker Emile-Jacques Dalcroze zusammen, der in Wien u.a. bei Anton Bruckner und – wie Webern – bei Hermann Grädener ausgebildet, sich seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Verbindung von Musik und Bewegung beschäftigte, aus der später die Rhythmische Gymnastik und in deren Folge der zeitgenössische Tanz hervorgingen. Geprägt durch diese Erfahrungen entwickelte Martin einen sehr persönlichen Stil – waren es in den zwanziger Jahren Werke wie die "Rhythmen", in denen er die Ideen Dalcrozes auf das große Orchester übertrug, so integrierte er in den dreißiger Jahren die Zwölftontechnik Schönbergs in sein Werk und versuchte, eine Verbindung zwischen dieser und dem Komponieren im tonalen Idiom herzustellen. Auch wenn seine hauptsächliche Bedeutung auf dem Gebiet der Vokalmusik liegt – bekannt geblieben sind seine Kantaten "Le Vin Herbe" (eine Variation des Tristan-Stoffes) und "Der Cornet" nach Rilke, sowie sein nach 1945 entstandenes Oratorium "Golgota" und die "Jedermann"-Monologe für Bariton und Orchester – so finden sich doch auch in seinem Instrumentalschaffen wahre Schätze. Zu diesen zählt auch die Passacaglia von 1944, die, ursprünglich für Orgel geschrieben, von Martin noch zweimal bearbeitet wurde – 1952 für das Stuttgarter Kammerorchester unter Karl Münchinger und 1962 für grosses Orchester, auch dies ein Zeichen für die enorme Qualität und Popularität des Werkes, dem es gelingt, die Aktualität der kontrapunktischen Variation exemplarisch unter Beweis zu stellen. "Das Ohr als höchste Instanz" – diesem Credo folgt der österreichische Komponist, Organist und Musikorganisator [b]Thomas Daniel Schlee.[/b] Als Sohn des langjährigen Direktors der Universal-Edition, eines der führenden Verlagshäuser für die Musik des zwanzigsten Jahrhunderts, Alfred Schlee, fand er schon früh zur Musik. Ausgebildet als Organist, studierte er später Kunstgeschichte und Musikwissenschaft in Wien, später auch Komposition bei Francis Burt und Olivier Messiaen, der einen maßgeblichen Einfluss auf die musikalische Ästhetik von Schlee ausübte. Nach Anfängen als Dramaturg übernahm er 1990 die Direktion des Brucknerhauses Linz, später folgten dann das Beethovenfest Bonn und der Carinthische Sommer, als dessen Intendant Schlee seit 2004 amtiert. Ähnlich wie bei Gustav Mahler, dessen Verpflichtungen als Dirigent ihm nur in den Sommermonaten Raum für seine kompositorische Tätigkeit gaben, hat auch Schlee ein bislang vergleichsweise kleines, aber dafür inhaltlich weit gefächertes Werk vorgelegt, dessen Gestik den Bezug zur musikalischen Vergangenheit nicht verweigert. Sind die meisten seiner Werke inhaltsorientiert und basieren oft – auch hierin spiegelt sich das Vorbild Messiaens – auf religiösen Themen, so handelt es sich bei der Sonata da Camera um ein eher an die Serenaden Haydns und Mozarts angelehntes, fast heiter zu nennendes dreiteiliges Stück, das 1996/97 als Auftragswerk für den Wiener Concert-Verein entstand und recht eigentlich für das Bemühen Schlees steht, Musik auch um ihrer selbst willen klingen zu lassen, unabhängig von den Moden und Konventionen der neuen Musik, ganz wie er es selbst beschreibt: "Das ist nicht neu, aber eine stets wunderbare Herausforderung. Eine Ästhetik der Verbote ist mir ebenso fremd wie die Wahllosigkeit der Stilmittel. Jede Komposition hat ihre Bestimmung und leitet aus dieser ihre Gestalt, den Ablauf der harmonischen Farben, die Beschaffenheit des melodischen und formalen Gefüges ab. (…) Dann entsteht, vielleicht, jener Zauber einer sprechenden Kunst, in der Erinnerung und Phantasie zum Werk verschmelzen." [b]Igor Strawinsky[/b] als religiösen Komponisten zu bezeichnen, fällt angesichts der wenigen von ihm geschriebenen Werke, die sich mit religiösen Themen auseinandersetzen, schwer. Abgesehen von der verschollenen Trauermusik für seinen Lehrer Nikolai Rimski-Korsakow von 1908 und einem erst später uraufgeführten "Vater unser" von 1926 ist die 1930 entstandene "Psalmensymphonie" Strawinskys erstes Werk, das eindeutigen Bezug zur christlichen Sakralmusik nimmt, auch wenn sich bereits in dem drei Jahr zuvor beendeten Oratorium "Oedipus Rex" entsprechende Einflüsse finden – Strawinsky hatte hier zum ersten Mal mit Jean Cocteau zusammengearbeitet, der zu dieser Zeit der Strömung des "nouveau catholique" nahestand. Den Auftrag zur Komposition der Symphonie erhielt Strawinsky von Sergei Kussevitsky, dem neben dem Ballett-Impresario Sergei Djaghilew umtriebigsten unter den exilierten Russen – er war Kontrabassist, Dirigent und Gründer des Russischen Musikverlags, bei dem auch Strawinsky verlegt wurde. Von 1921 an veranstaltete er in Paris eigene Konzerte, bei denen u.a. auch Strawinskys Concertino für Klavier uraufgeführt wurde. 1924 Chef des Boston Symphony Orchestra geworden, versuchte er nun erfolgreich die moderne Musik auch in Amerika heimisch zu machen (zu den später von ihm in Auftrag gegebenen bzw. uraufgeführten Werken zählen so unterschiedliche Stücke wie Bartóks "Konzert für Orchester", Messiaens "Turangalila-Symphonie" und Schönbergs "Überlebender aus Warschau). Die "Psalmensymphonie" trägt noch deutlich Züge der neoklassizistischen Phase Strawinskys, die mit dem im Festivalkonzert am 7. Oktober erklingenden Oktett ihren Anfang genommen hatte. Sie ist gekennzeichnet von einer scheinbar kühlen, fast akzidenzlosen Atmosphäre, die sich jedoch nur auf den ersten Blick so darstellt – dahinter verbirgt sich ein hochemotionales Werk, das zu den Meisterwerken der Chorsymphonik gehört. Strawinsky wählte als Textgrundlage Verse aus den Psalmen 38 und 39 sowie den gesamten Psalm 150. So beginnt das Werk mit der Klage des Leidenden, der um Hilfe nachsucht (Psalm 38) und führt über den Bittruf des David zu dem Lobe Gottes, wie es sich im Psalm 150, einem der am meisten vertonten Texte der Musikgeschichte überhaupt, findet. Folgerichtig lässt Strawinsky den ersten Teil mit einer Instrumentaleinleitung beginnen, bevor der Alt mit dem Klagegesang beginnt. Wie in der Liturgie folgt hier ein Wechselspiel zwischen Vorbeter und respondierender Gemeinde. Der zweite Teil ist eine vierstimmige Doppelfuge, wobei Vokalund Instrumentalfuge erst unabhängig voneinander geführt sind und sich erst allmählich kunstvoll überlappen. Der homophon gehaltene dritte Teil schließlich bildet den krönenden Abschluss des Werkes mit insgesamt 103 Laudate (Lobet)-Rufen. Psalm 38 "In schwerer Heimsuchung (Der dritte Bußpsalm)" Vers 13 – 14 Die mir nach dem Leben trachten, stellen mir nach; und die mein Unglück suchen, bereden, wie sie mir schaden; sie sinnen auf Trug den ganzen Tag. Ich bin wie taub und höre nicht, und bin wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Psalm 39 "Bittruf angesichts der menschlichen Vergänglichkeit" Vers 2 – 4 Ich habe mir vorgenommen: Ich will mich hüten, daß ich nicht sündige mit meiner Zunge; ich will meinem Mund einen Zaum anlegen, solange ich den Gottlosen vor mir sehen muß. Ich bin verstummt und still und schweige fern der Freude und muß mein Leid in mich fressen. Mein Herz ist entbrannt in meinem Leibe; wenn ich daran denke, brennt es wie Feuer. So rede ich denn mit meiner Zunge. Psalm 150 "Das große Halleluja" Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja! Martin Luther 1534, Revision 1984