Personale Kurt Schwertsik

Equi Libri Stique op.87 (2001) für Viola und Tuba salotto romano op. 5 (1961) shâl-i-mâr op.17 für Bariton und Ensemble (1962-72, rev.1992) You hear nothing in the empty sky op.87 (2003), for strange Percussion and prepared piano Pause \"Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan\" für Bariton und Ensemble (2009) Liebesträume für 7 Instrumente the longest 10 minutes op. 98 (2006) [b]Reverenz vor Kurt Schwertsik[/b] Stets freundlich und gelassen, geneigt zu lachen (auch über sich selbst): Kurt Schwertsik, 1935 in Wien geboren, Individualist abseits von Mainstreams. Trinkt grünen Tee. 1964 schrieb er ein Bläserquintett, Freund Friedrich Cerha bezeichnete es – laut Urheber treffend – als Neo-Biedermeier. Zwar bewohnt Schwertsik in Wien ein wundersames Biedermeierhaus ohne Neo, der Hinweis auf eine vergangene ambivalente Epoche sollte aber nicht abdeckend über die Persönlichkeit Schwertsiks gestülpt werden. Das wäre verfälschend. Sein im Hintergrund verwaltetes Gegenwartswissen korrigiert die Gewichtung. – In Stichworten: Kompositionsstudium u. a. bei Karl Schiske, der offenen Geistes seine Schüler zwecks Horizonterweiterung zu den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik schickte. Dort traf Schwertsik auf Henze, Boulez, Maderna, Stockhausen und Cage. Die beiden Letztgenannten (weiters Satie und die Züricher DADA-Gruppe) prägten die eigenen Wege. Nach der Darmstädter Uraufführung seiner \"Liebesträume\" kam ein verpackter Würfelzucker zu Schwertsik geflogen, auf dem Papier stand: \"Beehren Sie uns bald wieder\". Der Werfer hieß Stockhausen, die gegenseitige Wertschätzung blieb über all die Jahre aufrecht. – Der Praktiker Schwertsik: Hornist bei den Niederösterreichischen Tonkünstlern und den Wiener Symphonikern. Der ambitionierte Vermittler neuer und neuester Musik: Gemeinsam mit Cerha gründete er 1958 in Wien das Ensemble \"die reihe\". Es konzertiert nach wie vor und feierte kürzlich sein 50. Bestandsjahr. (Aufmüpfiges Nebenprodukt: die 1965 mit Zykan installierten \"Salonkonzerte\".) Der Lehrer: 1989-2003 Kompositionsprofessor an der Wiener Musikhochschule (jetzt Musikuniversität). Der Auszeichnungsträger: Großer österreichischer Staatspreis, Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst usw. Viele Aufführungen bei prominenten Festivals, hauptsächlich zwischen Wien und London. Etc. etc. – Bis dato schrieb Schwertsik 103 Werke. Intoleranz, Verachtung und Streit lehnt er ab. Und reklamiert das Recht auf den eigenen Blick. Musikalische Zwangsjacken mag er nicht. HK Gruber postulierte, heutzutage dürfe niemand anderer so komponieren wie Schwertsik. Wie also komponiert er? Wiederholt mit Witz. Er begann tonalitätsfrei, analysierte serielle Musik und erkannte, diese sei seine Sache nicht. Blieb jedoch bis etwa 1962 mehr oder weniger im atonalen Idiom. Mit der Erstfassung von \"Shâl-i-mâr\" wandte er sich \"offenherzig\" der Tonalität zu, mit der er sich anfangs \"sehr geplagt\" hat. Keine Rückwendung zu den Gesetzen der funktionellen Harmonik. Ihm ging und geht es immer nur um die Stimmführung, die horizontale Gestalt, um die Qualität der Linien. Erst aus diesen entsteht die Harmonik. Dreiklang und Kadenz sollten immer wieder neu klingen. Oder eben nach Schwertsik. [b]Das Programm konfrontiert frühe Werke mit späten. Chronologische Reihung:[/b] Salotto romano für 12 tiefe Instrumente, op. 5 (1961), revidierte Fassung. – Ein leises Stück in der Nähe früher Arbeiten von Morton Feldman und beeinflusst von Cornelius Cardews (1936-1981) Tendenz zur Einfachheit. Klanglich grummelt es. Und die Tonalitätsfreiheit hat einen sonderbaren Touch, der vermuten lässt, Tiefgründiges sei wissentlich abgekratzt worden. Schwertsik sagt, er habe dabei an Salonmusik gedacht. (Dieser ist er später gelegentlich durchaus näher gerückt.) Wie der Titel verrät, entstand die Komposition in Rom, dank eines Stipendiums des dortigen österreichischen Kulturinstituts. An die Klangfärbung denkend, dürfte Schwertsik in dieser Zeit ein Zimmer im Souterrain bewohnt haben. Liebesträume für sieben Spieler, op. 7 (1962/63). Prelude – Nocturne – Dritte Episode – Marche funebre – Potpourri. – In diese Zusammenfügung hat sich die Ästhetik (oder Nichtästhetik) von Cage, DADA und Fluxus rudimentär eingenistet. Schwertsik definiert das Stück als ein erleichterndes Ablegen einer Musik, die ihn zur Zwangsjacke verurteilt hätte. Ein anderer Weg zu \"happy new ears\", ließe sich Cage zitieren, hier gerichtet auf die Inhomogenität einer Collage. Mit einer Rasierklinge zerschnitt Schwertsik hinter seinem Rücken die Noten von Liszts Liebesträumen, und danach klebte er sie nach grafisch-musikalischem Ermessen wieder zusammen, nun losgelöst von tonaler Logik (zweiter Satz), was zu verblüffenden Hörerlebnissen führt. Die Sätze eins, drei und fünf enthalten Spuren des Reihendenkens, sie sind aus einer Reihe von Dreiklängen und Septakkorden gebildet. Nächste Überraschung: im vierten Satz spazieren die Musiker auf dem Podium herum und wechseln die Instrumente, produzieren schlappe Geräusche. Dieses Verwirrspiel erinnert an einen Kondukt, als sollte eine andere neue Musik als die aus dem Zufall geborene zu Grabe getragen werden. Shâl-i-Mâr, sieben Lieder nach Gedichten von H. C. Artmann, op. 17 (1962-72/1992). – Eine lange Enstehungsspanne. Das erste nicht mehr tonalitätsfreie Stück. Dorthin zu gelangen, fiel Schwertsik anfangs schwer. Erst nach mehreren Konstruktionsversuchen fand er die ihm gemäße Behausung. Das Unzulängliche der Erstversion veranlasste ihn 1972 zu einer Orchesterbearbeitung, die allerdings im Manuskript blieb. Eine neuerlich korrigierende Neufassung gab dem Stück die definitive, der ursprünglichen Vorstellung wieder angenäherte Gestalt. Die Musik fügt sich den gleichsam epigrammatisch schwebenden Texten Artmanns, reichend von zarten, liebevollen Tönungen bis zu traurigen und bösen. Equi Libri Stique, op. 87a (2001), für Viola und Tuba. – Das spieltechnisch anspruchsvolle Duo in Form einer Sonatine thematisiert die Kunst des Gleichgewichthaltens (Äquilibristik). Die beiden Instrumentalisten müssen freilich nicht auf einem Seil tanzen. Zu beachten ist die Gewichtung dieses so ungleichen Paares, auf dass die dynamische Balance zwischen Viola und Tuba nicht verloren gehe. You hear nothing in the empty sky for strange percussion and prepared piano, op. 87b (2003). – Der Titel übertreibt. Man hört immerhin quasi Verfremdetes: Die Präparation des Klaviers weitet das Klangspektrum aus, dem Schlagwerk sind die obligaten Instrumente abhanden gekommen. Nur Tischglocke und Ratsche sind vorgegeben, alle anderen Gerätschaften aus Plastik, Holz, Eisen usw. darf respektive muss der Spieler selbst aussuchen. Aus der Ferne grüßt die Erinnerung an Sonatas and Interludes von Cage. Er schrieb sie zwischen 1946 und 48 für präpariertes Klavier. The longest ten minutes, op. 98 (2006). – Die Relativitätstheorie wird nicht bemüht. Denn das konzise Stück, komponiert für das Ensemble \"tenten\" (Liverpool), dauert de facto etwa zehn Minuten und ist in zwei Sätze gegliedert. Der erste hat eine straffe Diktion, der zweite eine eher lyrische, andeutungsweise tänzerische. Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan, sieben Lieder nach Gedichten von Theodor Kramer für Bariton und Ensemble, op. 103 (2009). – Kramer wurde im niederösterreichischen Weinviertel als Sohn eines jüdischen Dorfarztes geboren und starb vereinsamt, vergessen, in Wien. Eine Gedenktafel, das ehrenhalber gewidmete Grab (Zentralfriedhof) und eine nach ihm benannte Straße samt Schule (22. Bezirk) änderten daran nichts mehr. Er war explizit Lyriker. Seine nie romantischen Gedichte erfassen das Milieu der Arbeiter, Handwerker, sozial Benachteiligten, liefern aber auch unübliche Bilder von Landschaften. Das Germanistik-Studium brach er ab. Den Ersten Weltkrieg überlebte er schwer verwundet, und die Nazis, die dem Juden und Sozialdemokraten jegliche Publikation untersagten, überlebte er ebenfalls; im letzten Moment gelang ihm und seiner Frau die Emigration nach London. Dort knüpfte er Kontakte zu Hilde Spiel, Erich Fried, Elias Canetti. Thomas Mann nannte Kramer einen großen Dichter. 1957 kehrte er zurück. Man hat ihm zwar nichts getan – so der Titel des Liedzyklus -, aber beachtet wurde er auch nicht mehr. Schwertsik, drastischer Attitüde abhold, wählte Texte, die ihn einen schlank instrumentierten Bogen von nichts Gutes verheißenden Marschanklängen bis zu Versöhnung und Ruhe spannen ließen. Wer vormals draußen nachts an der Tür läutete, hätte der Unheilbote sein können. Also ein letzter Brief, aber auch ein Funken des Widerstands gegen die \"Wanzen\". Am Morgen dann die überstandene Angst, ein Hoffnungszweig an der Tür… L. K. Kartenpreise: 19€ | 9€

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Fr / 22.05.2009
19.30 Uhr
kunsthaus muerz / anton webern saal