[b]Da sitzt er, der Dichter, in der Früh, allein, im Café Irgendwo,[/b] und lässt den Blick, die Wahrnehmung und die Fantasie schweifen. Mit gespannten Sinnen begegnet er der Gegenwart, und durchaus kritisch stellt er sich einer Welt, die seinen wütenden Ekel verdient. Er ist ein hellwacher Beobachter mit Blick für das Unscheinbare, ein Wanderer in Niemandslandschaften, ein Flaneur, unter dessen Augen sich die fade Monotonie, die Unerheblichkeit des Alltags verwandelt, sodass für Momente das Unerwartete, das Fantastische, das Ungeheuerliche der Fantasie in die Wirklichkeit einbricht. So entstehen geheimnisvolle, wundersame Geschichten, in denen sich allerhand begibt. Voll absurder Komik und Fabulierlust, voll grotesker Einfälle und überraschender Wendungen sind diese Miniaturen, in denen sich Xaver Bayer mit allem Eigensinn und doch unangestrengt auf der Höhe seiner Kunst zeigt, ohne dass er einen Zweifel daran lässt, dass diese Kunst eine Haltung zur Welt ist, die Möglichkeit eines Lebens, das eine andere, eine teilbare Art von Glück verspricht. Auch und gerade uns Lesern. [b]Geboren 1977 in Wien,[/b] wo er auch als freier Schriftsteller lebt. Studium der Philosophie und Germanistik. 2002 Hermann-Lenz- Stipendium 2004 Reinhard-Priessnitz-Preis 2005 Förderungspreis für Literatur 2008 Hermann-Lenz- Preis 2011 Förderpreis Literatur Stadt Wien Rede bei der Verleihung des Hermann-Lenz-Preises 2008: Man braucht oder zumindest ich brauche dreierlei, um schreiben zu können: Ich bin auf ein Gefühl angewiesen, muss eine passende Form dafür finden und benötige Ausdauer zur Ausführung. Da gehe ich zum Beispiel an einem herbstlichen Sonnenblumenfeld vorbei, und ein absichtsloser Blick ruft ein Gefühl wach, und aus diesem Gefühl heraus gelingt das Schreiben. Es ist wie der Anstoß zu einer Bewegung, die man mithilfe von Wörtern zu Ende führen muss. Bisweilen gibt es einen Ansturm der Wörter, sie durchtränken einen wie ein Wolkenbruch, und gelegentlich muss man mühselig nach ihnen kramen wie in einer engen, dunklen Schublade. Aber, unabhängig davon, denke ich mir, wohnt jedem Gefühl eine Entelechie inne, ein Wille zur Formwerdung, und es wartet, dass jemand Material herbeischafft, die angemessenen Teile auswählt oder erst bildet und schließlich in Verbindung bringt, sodass sie etwas Neues oder Anderes ergeben. Der dies Ausführende ist dabei wie ein Vektor, der auf das Universum zeigt. Gefühle, denke ich mir weiter, sind wie Tiere. So gibt es domestizierte und wilde Gefühle, letztere sind scheu, und sie haben oft die Angewohnheit, sich bei falschem Umgang zu entziehen oder gar selbst zu zerstören, so wie Seifenblasen zerstäuben, wenn man sie anfasst. Hat ein Gefühl jedoch Kontakt mit dem Herzen gewonnen, sollte man so tun, als wäre nichts geschehen, so wie man Tiere in der Natur nicht fixieren sollte, wenn man sie entdeckt hat, sondern den Blick spielerisch halb von ihnen abwenden, um ihnen keine Angst einzujagen, und gleichzeitig um die Welt drumherum nicht aus den Augen zu verlieren. Man sollte ein Gefühl mit einer gewissen Demut umkreisen, es streicheln, ihm seine Besonderheit entlocken, man muss gut sein zum Gefühl, hin und wieder vielleicht fast auf hintertriebene Weise. Man muss wissen, wie man es bei sich behalten kann und wann man nachgeben muss, wenn es sich einem wieder versagt. Ist es verschwunden, bleibt eine Nachahnung, wie ein Duft, von dem man noch eine Weile zehren kann. Von diesem Augenblick an ist dann nur noch die Erinnerung an das Gefühl, auch eine Art von Konservierung der Essenzen, archiviert im Irgendwo des Bewusstseins, mitunter versunken für immer, mitunter sich nach Jahren zu Wort meldend, wenn man es längst vergessen hatte. Ein Buch, ein Bild, eine Musik, eine Bewegung, einfach jedes Kunstwerk ist durch seine Existenz in der Lage und hat das Verlangen, ein Gefühl zu konservieren und dieses wieder auf einen Betrachter zu übertragen. Als Kind hat mir das Märchen \"Der Rubin\" von Friedrich Hebbel gefallen, und das tut es noch heute. Der junge Mann darin erlöst das im Edelstein gefangene Mädchen, das er über alles liebt, dadurch, dass er sich überwindet und den Stein in den Fluss wirft. Man darf also, so ist mein Schluss daraus, Gefühle nicht besitzen oder künstlich erzwingen wollen, sonst bleiben sie einem fern. So wie man nach vierblättrigen Kleeblättern nicht suchen darf. Man muss sie finden. Und dann weiterschenken. So ist dieses anfangs erwähnte Feld von verdorrten, braunschwarzgrauen Sonnenblumen in der morgendlichen Herbstsonne, an dem ich vorbeigegangen bin, für mich ein Sinnbild für das Gefühl an sich, ein Memento, dass Gefühle einen weiterzutragen vermögen, wenn man nicht gleichgültig bleibt. Gefühle tragen einen, wenn man sie trägt. Man muss nur wissen, wie sie zu tragen sind, und wie jedes Wissen bleibt auch dieses nur lebendig, wenn es von ausreichend Phantasie gespeist wird, und ein Tun, wie beispielsweise eben mein Schreiben, das mit einem Gefühl zusammenhängt, im besten Fall aber jedes Tun, verlangt nach einer von sich ausgehenden und auf andere eingehenden Befürwortung bedachtsamer Ausführlichkeit. [b]Eintritt 6 / 4 Für Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren Eintritt frei[/b]